Während Windows, macOS und Linux seit Jahrzehnten die Betriebssystem-Landschaft dominieren und Android sowie iOS den mobilen Sektor fest im Griff haben, gab es zahlreiche andere, innovative Betriebssysteme, die trotz technischer Brillanz und visionärer Ansätze im Konkurrenzkampf untergingen. Viele von uns Tech-Enthusiasten erinnern sich wehmütig an diese vergessenen Betriebssysteme, die ihrer Zeit oft weit voraus waren.
In diesem Beitrag werfen wir einen nostalgischen Blick auf einige der faszinierendsten Betriebssysteme, die es nicht geschafft haben, und zeigen dir, wie du sie heute noch ausprobieren kannst.

BeOS: Das Multimedia-Betriebssystem seiner Zeit
BeOS wurde Mitte der 1990er Jahre von der Firma Be Inc. unter der Leitung von Jean-Louis Gassée, einem ehemaligen Apple-Manager, entwickelt. Es war seiner Zeit technisch weit voraus und wurde von Grund auf für Multimedia-Anwendungen konzipiert.
Die technischen Besonderheiten
BeOS beeindruckte durch seine Fähigkeiten:
- Moderne 64-Bit-Dateisystem (BFS) mit Unterstützung für erweiterte Attribute
- Echte Multitasking-Fähigkeiten mit pervasivem Multithreading
- Hochoptimierte Medienwiedergabe ohne Aussetzer
- Niedrige Latenzzeiten selbst bei rechenintensiven Aufgaben
- Schnelle Bootzeiten (unter 15 Sekunden auf damaliger Hardware)
- Geringe Systemanforderungen
Was wurde aus BeOS?
Für einen kurzen Moment schien BeOS eine ernsthafte Chance zu haben, zum nächsten Betriebssystem von Apple zu werden. Apple verhandelte 1996 über eine Übernahme von Be Inc., entschied sich jedoch letztendlich für NeXT und damit für die Rückkehr von Steve Jobs. Be Inc. versuchte später, BeOS als alternative Plattform für PCs zu etablieren, konnte sich jedoch gegen die Dominanz von Microsoft Windows nicht durchsetzen.
Im Jahr 2001 wurde Be Inc. von Palm übernommen, und BeOS verschwand vom Markt. Die letzte offizielle Version war BeOS R5.
Haiku: Der geistige Nachfolger
Glücklicherweise lebt der Geist von BeOS in einem Open-Source-Projekt namens Haiku weiter. Haiku ist ein quelloffenes Betriebssystem, das vollständig mit BeOS kompatibel sein soll und dessen Designphilosophie fortsetzt. Nach jahrelanger Entwicklung ist Haiku inzwischen in einem erstaunlich funktionalen Zustand und bietet sogar moderne Webbrowser und andere Anwendungen.
BeOS heute erleben
Du kannst BeOS und Haiku auf verschiedene Weisen ausprobieren:
- Haiku kannst du direkt von der offiziellen Website herunterladen und auf echter Hardware oder in einer VM installieren.
- BeOS R5 lässt sich in Emulatoren wie QEMU oder VirtualBox zum Laufen bringen. Wobei du beachten solltest, dass die Beschaffung der Betriebssystem-Images rechtliche Fragen aufwerfen kann.
Windows Phone: Microsofts mobile Tragödie

Das Mobilbetriebssystem von Microsoft war in vielerlei Hinsicht seiner Zeit voraus und führte ein revolutionäres Designkonzept ein, das später sogar Desktop-Windows beeinflussen sollte.
Die Entwicklung von Windows Phone
Windows Phone hat eine komplexe Geschichte:
- Windows Mobile (2000-2010): Der Vorgänger, ein auf Pocket PCs und frühe Smartphones ausgerichtetes Betriebssystem.
- Windows Phone 7 (2010): Komplette Neugestaltung mit der innovativen „Metro“-Oberfläche.
- Windows Phone 8 (2012): Kernelwechsel zum Windows NT-Kernel, wodurch ältere Geräte nicht aktualisiert werden konnten.
- Windows Phone 8.1 (2014): Einführung des Sprachassistenten Cortana und weitere Verbesserungen.
- Windows 10 Mobile (2015): Versuch, die Desktop- und Mobile-Welten zu vereinen.
Die Innovationen von Windows Phone
Windows Phone führte mehrere bahnbrechende Konzepte ein:
- Live Tiles: Dynamische Kacheln, die Informationen in Echtzeit anzeigen konnten.
- Hub-Konzept: Zusammenfassung zusammengehöriger Inhalte in thematischen Zentren.
- Fluides Design: Animationen und Übergänge, die die Nutzererfahrung verbesserten.
- Integration: Nahtlose Verbindung mit Microsoft-Diensten wie Office und OneDrive.
Der Niedergang
Trotz eines in vieler Hinsicht überlegenen Designs scheiterte Windows Phone an mehreren Faktoren:
- App-Lücke: Der Windows Store konnte nie mit dem Angebot von iOS und Android mithalten.
- Strategische Fehler: Häufige Richtungswechsel und mangelnde Kontinuität schreckten Entwickler ab.
- Zu spät am Markt: Als Windows Phone 7 erschien, hatten iOS und Android bereits eine starke Position.
- Hardware-Limitierung: Anfangs unterstützte Windows Phone keine High-End-Spezifikationen.
2017 bestätigte Microsoft das Ende der aktiven Entwicklung von Windows 10 Mobile. Der Support endete im Januar 2020.
Windows Phone heute ausprobieren
Es gibt mehrere Möglichkeiten, das Windows Phone-Erlebnis heute noch zu testen:
- Windows Phone 8.1 Emulator: Microsoft stellte früher offizielle Emulatoren für Entwickler bereit. Diese sind auf Archive.org noch verfügbar und lassen sich mit Hilfe von Visual Studio 2015 oder speziellen Anleitungen zum Laufen bringen.
- WP8 SDK: Die Windows Phone 8 SDK enthält Emulatoren, die sich auch heute noch installieren lassen.
- Echte Geräte: Auf eBay und anderen Plattformen findest du immer noch funktionsfähige Windows Phone-Geräte zu günstigen Preisen. Lumia 920, 930 oder 950 bieten das beste Windows Phone-Erlebnis.
WebOS: Vom Palm-Erben zum Smart-TV-System
WebOS hat vielleicht die interessanteste Erfolgsgeschichte unter den „vergessenen“ Betriebssystemen, denn es lebt heute aktiv weiter – allerdings in einer völlig anderen Rolle als ursprünglich geplant.
Die Anfänge bei Palm
WebOS wurde 2009 von Palm als Nachfolger von Palm OS vorgestellt und auf dem Palm Pre eingeführt. Es handelte sich um ein Linux-basiertes System mit einer innovativen, kartenbasierten Benutzeroberfläche.
Revolutionäre Funktionen
WebOS führte mehrere Konzepte ein, die heute Standard sind:
- Karten-Metapher: Anwendungen wurden als Karten dargestellt, zwischen denen man wischen konnte (ähnlich dem heutigen App-Switching auf iOS und Android).
- Gesten-Navigation: Komplexe Gesten zum Navigieren durch das Betriebssystem.
- Synergy: Integration verschiedener Datenquellen unter einer Oberfläche.
- Web-basierte Anwendungsentwicklung: Apps konnten mit Webstandards wie HTML, CSS und JavaScript erstellt werden.
- Multitasking: Echtes Multitasking, als iOS und Android dies noch nicht richtig unterstützten.
Die Odyssee von WebOS
Die Geschichte von WebOS ist geprägt von häufigen Besitzerwechseln:
- Palm (2009-2010): Entwicklung und Einführung
- HP (2010-2011): Übernahme und Versuch, WebOS auf Tablets (TouchPad) zu bringen
- LG (seit 2013): Umwandlung in ein Smart-TV-Betriebssystem
HP hatte ehrgeizige Pläne für WebOS, gab diese aber nach nur 49 Tagen auf dem Markt auf. Das HP TouchPad wurde im Ausverkauf für nur 99 US-Dollar verschleudert, was einen kurzen Verkaufsboom auslöste.
WebOS heute
Überraschenderweise lebt WebOS heute als Betriebssystem für LG Smart-TVs weiter. LG hat das System erfolgreich umgestaltet und zu einem der besten Smart-TV-Betriebssysteme am Markt gemacht. Seit 2018 ist es als Open-Source-Version „webOS Open Source Edition“ verfügbar.
WebOS ausprobieren
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, WebOS heute zu erleben:
- webOS OSE: Die Open-Source-Edition kann auf Raspberry Pi oder in einer VM installiert werden. Eine Anleitung findest du auf der offiziellen Website.
- Legacy WebOS: Ein Emulator für das ursprüngliche WebOS ist über das WebOS Internals Projekt verfügbar.
- Echte Geräte: Palm Pre, Palm Pixi oder HP TouchPad können teilweise noch gebraucht erworben werden.
OS/2: IBMs verlorener Windows-Konkurrent
OS/2 war IBMs ambitionierter Versuch, ein fortschrittliches Betriebssystem für PCs zu entwickeln – ursprünglich in Zusammenarbeit mit Microsoft, bevor die Partnerschaft zerbrach und Microsoft stattdessen Windows entwickelte.
Geschichte und Entwicklung
OS/2 wurde 1987 eingeführt und durchlief mehrere wichtige Phasen:
- OS/2 1.x: Die frühen Versionen, noch in Zusammenarbeit mit Microsoft entwickelt.
- OS/2 2.0 (1992): Die erste Version ohne Microsoft-Beteiligung, die Windows-Programme ausführen konnte.
- OS/2 Warp (1994): Die bekannteste Version mit verbesserter Benutzeroberfläche und Multimedia-Funktionen.
- OS/2 Warp 4 (1996): Die letzte große Version für Endbenutzer.
Technische Überlegenheit
OS/2 war Windows in vieler Hinsicht technisch überlegen:
- Echtes präemptives Multitasking
- Robuste Speicherverwaltung
- Fortschrittliche Objektorientiertheit (besonders in Warp 4)
- Fähigkeit, sowohl native OS/2-Programme als auch Windows-Programme auszuführen
- Hervorragende Netzwerkunterstützung
Der Niedergang
Trotz technischer Stärken scheiterte OS/2 aus mehreren Gründen:
- Zu hohe Systemanforderungen für die damalige Zeit
- Schwaches Marketing im Vergleich zu Microsoft
- Mangel an nativen Anwendungen
- Hohe Lizenzkosten für Entwickler
- IBMs zögernder Einstieg in den Heimanwendermarkt
IBM stellte die Entwicklung von OS/2 Ende der 1990er Jahre ein, obwohl es unter dem Namen eComStation und später ArcaOS von Drittanbietern weiterentwickelt wurde.
OS/2 heute erleben
Du kannst OS/2 auf verschiedene Weisen ausprobieren:
- ArcaOS: Ein modernes, kommerzielles OS/2-basiertes Betriebssystem, das hier erhältlich ist.
- VirtualBox/VMware: OS/2 Warp lässt sich in virtuellen Maschinen installieren.
- OS/2 Museum: Eine umfangreiche Sammlung von OS/2-Versionen und -Materialien ist im OS/2 Museum dokumentiert.
RISC OS: Der schnelle ARM-Pionier
RISC OS wurde 1987 von Acorn Computers entwickelt und war eines der ersten Betriebssysteme für ARM-Prozessoren – lange bevor ARM zum dominierenden Chip-Design für mobile Geräte wurde.
Besonderheiten von RISC OS
RISC OS hatte einige einzigartige Eigenschaften:
- Extrem schnelle und responsive Benutzeroberfläche
- Innovatives Drei-Tasten-Mauskonzept
- Komplett in Assembler geschrieben für maximale Effizienz
- Modulares Design mit „Modules“ zur Systemerweiterung
- Fortschrittliches Fenstersystem (WIMP – Windows, Icons, Menus, Pointer)
Der Niedergang und die Wiederbelebung
Mit dem Ende von Acorn Computers 1998 schien auch RISC OS am Ende zu sein. Doch das System fand neue Heimaten:
- RISC OS Ltd und Castle Technology entwickelten konkurrierende Varianten.
- RISC OS Open machte das System 2006 quelloffen.
- RISC OS Developments unterstützt seit 2016 die kommerzielle Entwicklung.
RISC OS ist heute noch aktiv und läuft auf modernen ARM-Plattformen wie dem Raspberry Pi.
RISC OS ausprobieren
Du kannst RISC OS leicht erleben:
- Raspberry Pi: RISC OS ist für alle Raspberry Pi-Modelle verfügbar. Die offizielle RISC OS-Website bietet Downloads an.
- RPCEmu: Ein Emulator für klassische RISC OS-Computer, verfügbar für Windows, macOS und Linux.
Fazit: Vergessene Innovationen
Betriebssysteme wie BeOS, Windows Phone, WebOS, OS/2 und RISC OS repräsentieren wichtige Kapitel in der Geschichte der Computertechnologie. Sie alle brachten innovative Konzepte und Technologien hervor, die oft ihrer Zeit voraus waren. Viele Funktionen, die wir heute als selbstverständlich betrachten – von Multitasking über kartenbasierte Benutzeroberflächen bis hin zu ARM-Prozessoren – haben ihre Wurzeln in diesen „vergessenen“ Systemen.
Dass diese Betriebssysteme letztendlich scheiterten, lag selten an technischer Unterlegenheit. Meist waren es Faktoren wie Marktdominanz etablierter Spieler, schlechtes Timing, mangelnde Anwendungen oder unternehmerische Fehlentscheidungen, die ihren Untergang besiegelten.
Durch Emulatoren und Open-Source-Nachfolger können wir heute noch einen Blick auf diese alternativen Visionen der Computerzukunft werfen. Und wer weiß – vielleicht inspiriert die nächste Generation von Entwicklern die eine oder andere „vergessene“ Innovation zu neuem Leben.